Liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Freundinnen und Freunde,
sehr geehrte Damen und Herren,

diese „Zeilen“ gehen auch an diejenigen, die sich auf unterschiedlichen Wegen in den letzten Tagen an mich gewandt haben. Es ist mir leider nicht möglich, allen einzeln so zu antworten, wie ich es selbst wollte, wenn ich jemanden anschreibe. Ich versuche also, auf diesem Weg etwas zu bündeln. Wer nicht auf diesem Verteiler sein möchte, melde sich bitte einfach mit einer kurzen Nachricht.

Wie soll es weitergehen? Das ist die entscheidende Frage. Der Blick zurück, gar im Zorn, auf der Suche nach Schuldigen, hilft nicht weiter. Ich bin sehr zögerlich, anderen schlechte Absichten zu unterstellen, weil Politik insgesamt Schaden nimmt, wenn alle das wechselseitig tun. Gute Absichten kann ich bei der FDP allerdings auch nicht erkennen. Meiner Parteiführung muss ich vorwerfen, sich nicht gründlich und rechtzeitig genug mit allen möglichen Szenarien zu beschäftigen. Als ich in meinem früheren Leben Vorstände beraten habe, waren häufig sogenannte Risikoanalysen verlangt. Was kann alles eintreten? Was tun wir unter verschiedenen Rahmenbedingungen? Wie lautet die Kommunikation? Mich hat das damals genervt. Ich dachte, Leute, Ihr müsst doch Visionen haben, führen, vorangehen und Euch nicht immer nur nach allen Seiten absichern. Heute sehe ich: Es braucht beides. So sind wir alle vom Scheitern der Jamaika-Verhandlungen kalt erwischt worden. Das ist nicht professionell.

Ich bin gegen eine Große Koalition. Ich wünsche sie mir nicht. Ich will sie nicht. Ich habe Politikvorstellungen, die in einer Großen Koalition nicht umsetzbar sind.

Ich schließe eine Große Koalition aber auch nicht aus. Weil ich das wechselseitige Ausschließen von möglichen Koalitionen für schädlich halte. Es gilt der alte Satz (auch für Herrn Lindner): Demokratische Parteien müssen grundsätzlich untereinander koalitionsfähig sein. Weil das so ist, ist die SPD von 2005 bis 2009 und seit 2013 in Große Koalitionen eingetreten.

Aber Große Koalitionen sind auf Dauer schädlich für die Demokratie. Die Unterschiede verwischen, die Ränder wachsen. Ja, wir müssen als Demokraten auch die AfD aushalten. Aber das fällt schon schwer. Diese Woche hat die AfD einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht: Wir sollten beschließen, dass der Krieg in Syrien beendet ist und deshalb die syrischen Flüchtlinge wieder zurückgeschickt werden können. Na, da hätten wir ja mal vor fünf Jahren schon draufkommen können. Wir beschließen einfach, es gibt dort keinen Krieg, vielleicht wären die Flüchtlinge dann erst gar nicht gekommen! Am gleichen Tag haben die Redner der AfD den Klimawandel geleugnet. Wer nichts gegen den Klimawandel tut, kann gleich Freitickets für weitere Millionen Flüchtlinge ausstellen. Wenn die Lebensperspektiven schwinden, machen sich Menschen nämlich auf den Weg, auch über Zäune und Mauern hinweg. Kurzum: Wir müssen und können das aushalten, aber selbst für Menschen, denen das mit Ausländern und Flüchtlingen zu viel ist, hat diese Truppe keine Konzepte anzubieten, sondern nur Provokationen und Unsinn.

Die Geschichte meiner Partei lehrt mich, den Anfängen zu wehren. Unsere Demokratie braucht zwei starke Volksparteien, eine links, eine rechts, mit klaren, unterscheidbaren Konzepten. Wenn draußen der Eindruck entsteht, man kann wählen, was man will, es kommt immer das gleiche heraus, produziert man Politikverdrossenheit. Die Beispiele anderer Länder zeigen, in welch schwierige Lagen man dann geraten kann. Große Koalitionen müssen der Ausnahmefall bleiben.

Ich springe ans Ende: Neuwahlen sind (auch nach unserer Verfassung) die letzte Alternative. Man kann die Leute nicht so oft an die Urnen rufen, bis einem das Ergebnis passt. Ausgeschlossen sind sie allerdings nicht.

Bleiben: Gespräche. Alle Möglichkeiten ausloten. Gut, dass Frank-Walter Steinmeier unser Bundespräsident ist. Er hat sich nun erst einmal die Verhandlungsunterlagen der gescheiterten Jamaika-Koalition kommen lassen. Man muss nicht aus jeder Koalition ein „historisches Projekt“ machen. Man kann sich auch in ernsthaften Verhandlungen auf wichtige Projekte einigen, diese umsetzen und anderes bleibt eben liegen. Wie ernsthaft wurde das versucht? Was waren wirklich die Knackpunkte? Wenn man der SPD in diesen Tagen Verweigerung vorwirft (ein Witz angesichts 154 Jahren Parteigeschichte), frage ich: Warum sollte es für Jamaika nicht einen erneuten Anlauf geben? Vielleicht mit anderen Akteuren? Dass Herr Lindner Jamaika sogar im Falle einer Neuwahl ausschließt, zeigt mir doch, dass es ihm in erster Linie um die Profilierung seiner Partei (also seiner Person) geht.

Zweite Möglichkeit: Minderheitsregierung. Hatten wir noch nicht, wollen deshalb viele nicht. In der Verhandlungslehre ist aber eine wichtige Regel, zunächst nach möglichst vielen unterschiedlichen Optionen zu suchen, und nicht alles gleich zu zerreden. Wir haben sieben Parteien im Parlament, die Zeiten haben sich geändert. Eine Minderheitsregierung, vielleicht auf Zeit, hieße, dass Mehrheiten im Parlament gesucht werden müssten. Das könnte uns Parlamentarier stärken und die Demokratie beleben.

Schließlich: doch eine Große Koalition. Ausschließen kann man nichts, reden muss man über alles. Nicht nur die SPD, alle Beteiligten.

Unser Land braucht eine stabile Regierung. Die haben wir auch, geschäftsführend, und unsere Minister machen ihre Arbeit. Nach meiner Überzeugung braucht das Land aber vor allem wieder eine Vorstellung, wo es hin will. Wir brauchen Lust auf Zukunft. Wir brauchen ehrgeizige Projekte. Wir müssen Europa wieder zusammenführen. Wir müssen dafür sorgen, dass Kinder alle Chancen haben, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Die SPD muss jetzt ihre inhaltlichen Forderungen nach vorne stellen. Bürgerversicherung, kostenlose Kindertagesstätten, mehr Demokratie, dafür sind wir da.

Alles, was wir tun, müssen wir eng anbinden an unsere Mitgliedschaft. Wer mitentscheiden will, ist herzlich eingeladen, unsere Reihen zu verstärken. Überhaupt ist die beste Idee, dass alle, die jetzt nach der SPD rufen, einfach SPD wählen.

Ich kann nur ein guter Repräsentant meines Wahlkreises und meiner Wählerinnen und Wähler sein, wenn ich weiß, was die Menschen (von mir) wollen. Deshalb freue ich mich sehr über Rückmeldungen.

Ihr/Euer
Lars Castellucci

PS: Wegen verschiedener Nachfragen hier der Text, den ich für die Pastoralblätter zum Thema Reformation verfasst hatte.

PPS: Herzliche Erinnerung und Einladung an alle Unterstützerinnen und Unterstützer im Wahlkampf zum Helferfest am kommenden Samstag, den 25. November, um 18 Uhr im Stadl im Kloster Lobenfeld (direkt am Sportplatz, Sportplatzweg, 74931 Lobbach).